Daniel setzt sich und öffnet eine Flasche Bier.
Mein Mitbewohner ist, so könnte man sagen, politisch interessiert.
Seit drei Wochen muss ich mir bei jedem gemeinsamen Frühstück anhören wie wichtig diese Wahlen doch sind und,
das sagt er mit fast weinerlicher Stimme, wie schade es ist, dass ich ja nicht daran teilnehmen könne.
In wenigen Sekunden werden die Hochrechnungen im Fernseher publiziert und wie Daniel meint sind sie „sehr verlässlich was das Endergebnis angeht“.
Später werde ich tatsächlich davon überzeugt und Daniel zuliebe die Effizienz und Gewissenhaftigkeit
der deutschen Wahlhelfer und Meinungsforschungsinstitute loben. Ich meine es soger ein wenig ernst.
Als Argentinierin finde ich es aber schon fast
langweilig, wie grau und beinahe langweilig Präzise die Wahlen in Deutschland ablaufen. Guido Westerwelle wurde mir in den letzten Monat ebenso
ein Begriff, wie das schöne deutsche Wort „Überhangmandate“. So ganz verstanden habe ich das Geheimnis der Überhangmandate nicht und Daniels
Versuche es mir als eine Art Abseitsregel nur eben für Politik klarzumachen haben mir dabei auch nicht geholfen. Mit Fußball kennen wir Argentinier
uns ja zum Glück besser aus, als mit der Auswahl unserer Politiker.
Sandra Bossini studiert seit 2 Jahren an der TU München. Sie kommt aus Buenos Aires/Argentinien und wohnt jetzt in einer deutschen WG.
Es ist 18.00 Uhr und die Hochrechnungen im TV versprechen 4 schwarz-gelbe Jahre.
Mir kommt sofort in den Sinn, dass man sich Guido Westerwelle in Argentinien nur schwer als Chefdiplomaten vorstellen kann.
Seine überzeugenden Auftritte und der selbstbewusste Parteirückhalt stärken ihn sicherlich, um auch mit der nötigen Durchsetzungskraft
die Bundesrepublik in der Welt zu repräsentieren. Allerdings lassen ihn seine kühle Art und die bislang internationale Unbekannt- und Unbedeuntendheit
noch viele Hürden überwinden. Über seine außenpolitischen Vorstellung weiß man ja eigentlich gar nichts. Es wird sich zeigen, ob er überzeugen
kann oder die Linie der erstklassigen Außenminister der letzten Zeit empfindlich stört.
Grundsätzlich kann ich den für mein Empfinden ruhigen Wahlkampf in Deutschland ja durchaus verstehen.
Man spricht hier zwar auch von Wirtschaftskrise und an die deutsche Melancholie und Nörgelei musste ich mich bereits gewöhnen.
Allerdings ist diese Krise hier in Deutschland ja eher ein Päuschen verglichen mit der Wirtschaftskrise, die Argentinien vor wenigen Jahren verwüstete.
Ich kann sehr gut verstehen, warum Angela Merkel im letzten Jahr nach der Pleite des US-amerikanischen Geldhändlers Lehman Brother vor die Presse
trat und die uneingeschränkte Sicherheit der Bankeinlagen der Bürger
Unsere Korrespondentin
Sandra Bossini
Daniel ist unzufrieden mit dem Wahlausgang. Ihn enttäuscht die schwere Niederlage der SPD. So richtig nachvollziehen kann ich diese schweren
Stimmverluste zwar nicht, aber wirklich linke oder sozialdemokratische Vorschläge waren von ihr ja auch nicht mehr zu hören.
Ich gönne Deutschland eine starke linke Front. Ohne ein starkes Gegengewicht in der Politk wird eine große Zahl der Bevölkerung unterrepräsentiert
bleiben. Mein Eindruck ist sowieso, dass die Deutschen sich viel lieber verwalten als regieren lassen. Daher verwundert
mich das Wahlergebnis auch nicht.
(Sandra Bossini für second-day.de, 04. November 2009)